Backgroundstory

Als ich 2010 mit dem RAGE-46-Projekt begann, war das komplette Storyboard des Mehrteilers gottlob bereits im Kasten, wie man in der Filmsprache zu sagen pflegt.

Es war daher nur noch von Nöten, die Geschichte zu unterteilen und in Reinform zu Papier zu bringen. Heute, 344 Romanseiten später, fällt es mir sogar leichter, am letzten Teil weiterzuarbeiten; das ist so wie nach dem ersten Date: irgendwie kennt man den imaginären Leser besser. Also schrieb ich eben weiter … und ich kann Euch da draußen versprechen, der abschließende Bericht wird brisant und überraschend ausfallen. Die Protagonisten werden unverschuldet mit meinem Leben verknüpft, Geschichte verändert uns.

Für Fans atmosphärischer Szenen, wird es wundervolle Sequenzen meiner Erlebnisse in der Nubischen Wüste geben, auf der Suche nach Ursuppe, aber auch die typisch trashig überzeichneten Schilderungen urbaner Metropolen. Mir war in der Einführung wichtig, dass meine Leser etwas über die erzählende Person erfahren. Nun sind sie gewappnet und können miterleben, wie schwer es ist, einen in sich schlummernden Dämon los zu werden. Der Dämon der ersten Generation, weiter vererbt durch jede folgende, dunkle Epoche. Oder wie man damit lebt, anders zu sein als der Rest einer ganzen Spezies, denn solch ein Schicksal erträgt mein Titelheld.

Wäre er mir nicht begegnet, hätte er von diesem anderen Selbst vielleicht niemals erfahren. Er wäre jetzt ein gefeierter Rockstar, Chef seines Musiklabels oder würde mit seinen Freunden irgendwo in einem Luxushotel abhängen. Kam eben anders. Auch konnte niemand ahnen, dass Jesuiten Pater Paolo, den ich einst im Kloster Mar Musa in Syrien kennen und schätzen gelernt hatte, im Jahre 2013 von seinem Präsidenten als Dissident bedroht , dann von Schergen des Daesh verschleppt wurde. Freunde und Familie suchen seitdem nach ihm. Kein Storyboard, sondern Realität. Die schizophrene Situation, wenn der Verlag dich eine Klausel unterzeichnen lässt, juristisches Nachspiel zu vermeiden. Personen, die leben, starben oder Teil einer Fiktion sind – wer kann in den Kopf eines Verfassers blicken?

Danke an meine Protagonisten, dass sie noch bei mir sind. So erlebt man als Buchschreiber, wie schnell eine fiktive Idee in unerträgliche journalistische Realität überführt werden kann; man selbst unentwegt im eigenen Konflikt lebt, welche Worte eine Überlieferung verdienen und welche uns sogar Schaden zufügen könnten.

Als Journalistin kenne ich diesen Konflikt allzu gut, denn man gewöhnt sich sehr rasch an die Routine der objektiven Arbeit. Berichterstatten, emotional trennen, was einer Sachlage oder der Zugriffsstatistik dienen soll. Opportunistisch mit Gefühlen herum schwurbeln, setzt den Unterton, sobald etwas einer Vermarktung folgt. Eigentlich wandelt man ständig am Rande des Persönlichkeitsverlustes. Das klinische Bild eines Traumas überwindet man mit dem vererbten eisernen Willen eines mutigen Vorfahren, hilft das nicht, gibt es bereitgestellte zeitgenössische Medikamente. Während man weiterhin versucht, sich selbst auszutricksen, wird einem bewusst: es gibt eigentlich keine Fehler, nur persönliche, falsche Entscheidungen. Dann kehrt man zurück wie ein gestürzter Eiskunstläufer, mit schmerzenden Handflächen und verrenkten Gelenken, auf die spiegelglatte Oberfläche einer Maschinensprache. Man zieht die Kür durch. Ich warte auf die Wertung.

Zehn Jahre sind nur für den Körper ein Verschleiß, jedoch die Erkenntnis des Geistes verändert den metabolischen Effekt, das Denken verwirrt weniger als es Kraft verleiht, es kommt einem vor, als würde das Großhirn universal expandieren. Leider mit dem bitteren Nebeneffekt, dass Erinnerungen in der Weite des Gliazellenkosmos stetig verblassen. Was bleibt, ist die Gegenwart einer Tastatur, ein Fertiggericht Gottes und Terabyte-Speicher, die die Mächtigen für Zeiten der Dürre vorbereiten.
Ich habe eine Zeit mit Eden verbracht und ihn beim Tagesgeschäft im Musikverlag unterstützt. Nach dem pressewürdigen Verschwinden des Frontmanns seiner Band ‚Anodyne‘, stiegen die Verkaufszahlen schlagartig an, als wäre es eine kreative Gunst, den Tod eines Künstlers gleich im Bundle mitzukaufen. Verschwörungsclubs gründeten sich gar, nur zu Ehren einer virtuellen Legende, als könne man zwischen Texten und Akkorden einzelner Musikstücke die echte Botschaft per GPS-Signal einfach heraus rippen. Irgendwie war es tatsächlich ein halbgenialer PR-Streich, die Songs auf der kommenden Tour ohne Hauptgesang auf die Bühne zu bringen. Quasi ein verordnetes Zwangskaraoke, das bei den Fans und Medien ankam. So entwickelte sich schon über Sozialnetze eine chorale Vorbereitung, diesen Gesang selbst einzustudieren und damit wie in einem schamanischen Ritual, den verlorenen Minnesänger aus der Unterwelt zurück zu befehlen.

Zwei Jahre später und mit steigender Gewissheit, dass eher mehr Freunde verloren gingen als weniger, bereitete ich mich auf meine Abreise vor und machte mich auf die Suche nach meinem Titelhelden. Ich wusste, der Schlüssel zu der Geschichte lag dort, am Ort des Ursprungs der Menschheit.

Als ich meinen Koffer mit notwendigem Kram füllte, wie üblich, für einen Einsatz als Journalistin an der Front des Krieges, hatte ich gerade eine Infektion mit Windpocken überstanden: Arme, Beine, das Gesicht übersät mit diskreditierenden Malen der eigentlichen Herrscher unseres Planeten. „Eden … hat dein Name nicht was mit Paradies zu tun?“, verabschiedete ich mich von ihm und nahm den nächsten Flug in die persönliche Hölle.“ 

(Susan Ville – updated 2025-JAN)

Veröffentlicht von villebooks

Susan Ville is a pro Photographer, Journalist and Media Expert. She lives in Germany for work and in Egypt's deserts to write novels. She fights for human rights and planet earth, loves courageous people, good music and ancient books. Founder of TEFNET intranet - Field of expertise: Optics & Photometry, Editing

Entdecke mehr von RAGE 46

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen